Die Feier der Eucharistie - Eröffnungsriten (ritus initiales)

Die Eröffnungsriten zielen darauf hin, die versammelten Gläubigen als eucharistische Gemeinschaft zu konstituieren und damit das Mysterium der Kirche, das im lebendigen Geheimnis Gottes selbst gründet, in der konkreten liturgischen Versammlung zu vergegenwärtigen (representatio). "Die Riten, die der Liturgie des Wortes vorausgehen, nämlich der Einzug, der Gruß, der Bußakt, das Kyrie, das Gloria, und das Tagesgebet haben Eröffnungs-, Einführungs- und Vorbereitungscharakter. Ihr Ziel ist es, dass die zusammenkommenden Gläubigen eine Gemeinschaft bilden und sich darauf vorbereiten, in rechter Weise das Wort Gottes zu hören und würdig die Eucharistie zu feiern. In bestimmten Feiern, die nach Maßgabe der liturgischen Bücher mit der Messe verbunden sind, werden die Eröffnungsriten unterlassen oder in besonderer Form vollzogen" (Inst.Gen.46).

Die Eröffnungsriten umfassen zahlreiche einzelne Elemente, die erst im Laufe der Zeit dem Beginn der Eucharistiefeier zugewachsen sind. Eine de facto große Bandbreite an praktizierten Eröffnungsriten wurde infolge des Konzils von Trient durch das Missale Pius V. von 1570 vereinheitlicht und normiert. Der straffere Eröffnungsteil in der (früheren) Karfreitagsliturgie steht exemplarisch für altkirchliche Formen der Eröffnung, die in aller Kürze unmittelbar in den Wortgottesdienst hineinführten und so die Eucharistiefeier nahezu unmittelbar mit der Liturgie des Wortes beginnen ließen  (vgl. Justin, Augustinus).

Zur Frage des Anfangs

Die Feier der Eucharistie beginnt mit dem Prozess des Sich-Versammelns aller Teilnehmer. Der Akt des Sich-Versammelns ist für die Kirche konstitutiv. Gott versammelt sein erwähltes Volk (qahal, ekklesía) in dem durch ihn selbst aufgerichteten Bund. In der Gemeinschaft (koinonía, communio) mit Gott gründet zugleich auch die Gemeinschaft all jener untereinander, die an dieser koinonía Anteil haben und so nach dem Bild des dreifaltigen Gottes im Mit-Sein geeint sind. Die Feier der Eucharistie ist Handlung Jesu Christi selbst - in, an und mit der Kirche (CIC can. 899 §1). Die kirchliche Versammlung ereignet sich als Versammlung im Namen Jesu Christi (anamnetisch: als Realgedächtnis der Großtat Gottes) zusammen mit ihm in der Einheit des Geistes vor dem Angesicht des Vaters.

Einzugsprozession

Der Akt des Sich-Versammelns zur konkreten Eucharistiefeier ist ein gedehnter Prozess, der durch die Einzugsprozession des Hauptzelebranten (Bischof, Priester) zusammen mit jenen, die bei der folgenden Feier einen besonderen Dienst verrichten (z.B. Konzelebranten, assistierende Diakone, Lektoren, Kantoren, Akolythen), abgeschlossen wird. "Populo congregato sacerdos cum ministris ad altare accedit, dum cantus ad introitus peragitur" - Die Gemeinde versammelt sich. Daraufhin tritt der Vorsteher mit den Diensten während des Gesangs zur Eröffnung an den Altar (Ordo n.1; Inst.Gen.47). Diese Bestimmung ist in dieser Form erst mit dem Missale von 1970 in die Rubriken aufgenommen worden. Das frühere Missale von 1570/1962 hatte die Regelungen zum Beginn der Eucharistiefeier noch auf den Einzug des (durch eigene Gebete vorbereiteten) Priesters zum Altar beschränkt ("Sacerdos paratus cum ingreditur ad altare"). Aus der Tatsache, dass die Eucharistiefeier mit dem Akt des Sich-Versammelns aller beginnt, ergeben sich einige praktische Konsequenzen:

  • Die Zeit vor der Einzugsprozession markiert den Übergang zwischen profanem Alltag und ritueller Feier und steht insofern selbst bereits ganz im Zeichen der Eucharistiefeier, gleichsam als deren erste Phase, d.h. nicht bloß im Zeichen der Vorbereitung auf eine spätere Feier.

  • Die Vorbereitungen im Kirchen- und Altarraum (Küster, Dienste, Kirchenmusik) sind so rechtzeitig vorzunehmen, dass sie bereits abgeschlossen sind, sobald die Gemeinde sich versammelt.

  • Für die Gläubigen, die sich bereits in der Kirche versammelt haben, ist dies keine bloße Wartezeit bis zu einem eigentlichen Beginn, nicht einmal eine rein persönliche Vorbereitungszeit auf die "spätere" Feier, sondern bereits wirkliche eucharistische Zeit, die im Zeichen der Konstituierung der eucharistischen Gemeinschaft steht.

  • Der Akt des Sich-Versammelns beinhaltet auch eine individuelle Dimension auf Seiten der einzelnen Teilnehmer, unabhängig davon, ob diese einen besonderen liturgischen Dienst verrichten. Jeder einzelne überschreitet gleichsam eine Schwelle zwischen Alltag und Liturgie. Insofern ist vorherrschende Stille angezeigt. "Schon vor der Feier selbst ist in der Kirche, in der Sakristei, im Nebenraum und in der näheren Umgebung angemessenerweise Stille zu halten, damit alle sich auf den Vollzug der heiligen Handlung andächtig und in der gehörigen Weise vorbereiten" (Inst.Gen.45).

  • Die Einzugsprozession der Dienste schließt den Prozess des Sich-Versammelns aller Teilnehmer ab. Der verbreitete Brauch, den Beginn der Einzugsprozession durch ein eigenes Signalglöckchen zu markieren, steht in der Gefahr, ein Verständnis zu vermitteln, als ob die Feier der Eucharistie mit dem Einzug der Dienste beginnen würde. Tatsächlich entspricht dieser Brauch den Regelungen des Messbuchs von 1570/1962, das den Beginn der Eucharistiefeier durch den Einzug des Priesters zum Altar markiert hat.

Die Einzugsprozession geht zurück auf die stadtrömische Bischofsliturgie des 4./5. Jhd. Kennzeichnend hierfür war eine Versammlung des römischen Bischofs und des Klerus sowie der Teilnehmer aus den sieben Stadtregionen an einem zentralen Sammelpunkt (statio, Stationskirche). Von hier aus erfolgte eine Prozession zu einer der Titelkirchen Roms als dem Ort der Eucharistiefeier. Erst durch die kirchenbauliche Anordnung der Sakristei in der Nähe des Chorraums seit dem Mittelalter hatte die Einzugsprozession während der folgenden Jahrhunderte an Bedeutung verloren. Die heutige Einzugsprozession sowie statio-Gottesdienste (z.B. Palmsonntag) mit anschließender (Einzugs-)Prozession gehen wieder auf diese altrömische Praxis zurück. Eine auf den Hauptzelebranten (Bischof, Priester) mit den Diensten beschränkte (kleine) Einzugsprozession stellt eine Minimalanforderung für den alltäglichen Normalfall dar, die in bestimmten Situationen ausgeweitet werden kann (z.B. großer Einzug durch den Mittelgang auf den Altar zu). Zumindest all jene, die bei der Eucharistiefeier einen besonderen Dienst verrichten, sollten grundsätzlich in die Einzugsprozession einbezogen sein. Die Einzugsprozession hat folgende Ordnung: Thuriferar mit Weihrauch (vgl. Hofzeremoniell), Vortragekreuz flankiert von Ministranten mit je nach Festcharakter zwei, vier oder sechs Leuchtern mit brennenden Kerzen (sieben, wenn der Diözesanbischof vorsteht; vgl. Inst.Gen.117), Lektoren und Akolythen sowie andere liturgische Dienste, Diakon mit Evangeliar, ggf. weitere assistierende Diakone und Konzelebranten; der Hauptzelebrant folgt als letzter (Einzugsordnung). Neben dem eher praktisch-technischen Aspekt des Hingelangens in den Altarraum für die Eucharistiefeier kann insbesondere bei größeren Einzugsprozessionen das Motiv des Überschreitens einer Schwelle (Herkunft: Lebenswelt des Alltags, profanum; Ausrichtung: Kirchenraum/Altarraum als dem Alltag enthobener heiliger Bereich Gottes) im Zugehen auf Gott (Altar als Symbol Christi) geistlich fruchtbar gemach werden.

Der Gesang zur Eröffnung ist ein Begleitgesang, der während der liturgischen Handlung der Einzugsprozession erklingt (Inst.Gen.121) - nicht also erst nach einem ausgedehnten Präludium zur Einzugsprozession, das in diesem Fall an die Stelle des Begleitgesangs treten würde. "Der Gesang hat die Aufgabe, die Feier zu eröffnen, die Zusammengehörigkeit aller Teilnehmer zu fördern, sie innerlich in das Mysterium der liturgischen Zeit oder des Festes einzustimmen sowie den Einzug des Priesters und der liturgischen Dienste zu begleiten" (Inst.Gen.47). Es spricht jedoch nichts dagegen, ein kirchenmusikalisches Präludium bereits einige Minuten früher zu beginnen und so den Prozess des Sich-Versammelns, der bereits zur liturgischen Feier gehört, zu begleiten (z.B. Praxis in Notre-Dame de Paris). Als Gesang zur Eröffnung eignet sich ein gemeinsames Lied oder ein responsorialer Gesang. Auf einem derartigen responsorialen Gesang einer Antiphon mit Psalmversen hat sich der Choral-Introitus entwickelt. Dabei hat sich der ursprüngliche Psalm im Mittelalter aufgrund einer Verkürzung des Einzugs infolge der kürzeren Wege auf einen einzigen Vers reduziert. Das den Psalm abschließende Gloria Patri blieb bestehen. Abschließend folgt nochmals die Antiphon. Der textliche Anfang des Introitus hat vielfach einem Sonntag einen spezifischen Namen verliehen (z.B. "Invocabit", "Reminiscere"). Dieser Brauch hat sich für die Sonntage "Gaudete" (3. Adventssonntag) und "Laetare" (4. Fastensonntag) bis in die Gegenwart durchgehalten.

 

Begrüßung des Altars und des versammelten Volkes

Der Altar ist Symbol für Christus. Auf diesen allein zielt alle Verehrung, die dem Altar erwiesen wird. Alle liturgischen Dienste ehren den Altar, sobald sie diesen erreichen, durch eine tiefe Verneigung (vgl. Hofzeremoniell). Das bei der Einzugsprozession mitgetragene Kreuz kann neben dem Altar aufgestellt werden. Das Evangeliar wird auf dem Altar niedergelegt, bis es später bei der Evangelienprozession wieder aufgenommen wird. Der Hauptzelebrant tritt zudem an den Altar und verehrt diesen durch einen Kuss, ebenso die Konzelebranten und assistierenden Diakone. Wird Weihrauch verwendet, kann der Altar zusammen mit dem Kreuz bereits jetzt inzensiert werden (Inst.Gen.49). Bei der Umsetzung dieser kann-Regelung ist zu beachten, dass der Altar erst zu einem späteren Zeitpunkt mit der Gabenbereitung als Funktionsort in den Mittelpunkt des liturgischen Geschehens rückt und dann zusammen mit den Gaben inzensiert wird. Auf eine Inzensierung im Rahmen der Einzugsprozession kann also verzichtet werden.

Nach der Begrüßung des Altars begibt sich der Hauptzelebrant an den für ihn bestimmten Sitz (Vorstehersitz, ggf. Kathedra des Bischofs, vgl. Mose-Stuhl), tritt dabei der Versammlung als Vorsteher gegenüber, macht das Kreuzzeichen mit den Worten "Im Namen des Vaters..." (vgl. Mt 28,19b) und begrüßt die Versammelten zeichenhaft mit ausgebreiteten Händen (vgl. Einladung, angedeutete Begrüßungsumarmung) und den Worten "Der Herr (sei) mit euch" (Var. n.2; Bischof: "Der Friede sei mit euch", vgl. Gruß des Auferstandenen Lk 24,36; Joh 20,19.21). Die Gemeinde, die das Kreuzzeichen im Gestus mit vollzieht (Selbstbekreuzigung, Taufbezug), beantwortet das Zitat Mt 28,19 mit der Amen-Akklamation sowie den Gruß des Vorstehers mit den Worten "und mit deinem Geiste", was einen wechselseitigen dialogischen Zuspruch der pneumatischen Gegenwart des in der Herrlichkeit des Vaters erhöhten Herrn Jesus Christus in seiner Kirche und keine persönliche Begrüßung darstellt (Inst.Gen.50). Die Formel "und mit deinem Geiste" (statt "und auch mit dir") weist explizit auf das im Vorsteher gegenwärtig-wirksame Pneuma hin, worin er bei der liturgischen Handlung in persona Christi zu handeln vermag. Die liturgische Begrüßung hat mit einem Gruß im rein horizontalen, bürgerlichen Sinn nichts zu tun; besondere Willkommensgrüße an bestimmte Personen oder Gruppen wären daher fehl am Platz. Mit der Begrüßung übernimmt der Vorsteher sichtbar den Vorsitz in der liturgischen Versammlung sowie die Wortführerschaft in der Gemeinde und so die sichtbare Stellvertretung für Jesus Christus in der Eucharistiefeier. Vorsitz und die damit einhergehende Wortführerschaft kommen darüber hinaus insbesondere in den Präsidialgebeten (Hochgebet, Orationen) zum Ausdruck.

Nach der Begrüßung  kann der Vorsteher oder ein anderer Amtsträger oder Diener "mit ganz kurzen Worten in die Tagesmesse einführen" (n.3; Inst.Gen.50). Dabei handelt es sich um eine mystagogische Einführung, die mit nur wenigen  Worten zur Sprache bringt, worum es in dieser Feier geht. Für eine Kurzpredigt oder Unterweisung (monitiones) besteht an dieser Stelle kein Raum, da dies den Grundcharakter der Eröffnungsriten sprengen und deren Ziel zuwiderlaufen würde.

Begrüßung und Bußakt entfallen, wenn eine andere liturgische Feier unmittelbar vorausgeht.

 

Bußakt

Der Bußakt fungiert als Rüstakt zu Beginn der Eucharistiefeier und aktualisiert die Versöhnung mit Gott und untereinander. Auf die Einladung des Vorstehers folgt eine kurze Zeit der Stille zur Besinnung und kurzen Gewissenserforschung. Daraufhin sind drei mögliche Formen vorgesehen:

  • Form A: Schuldbekenntnis (orientalischen Ursprungs, seit dem 6./7. Jhd in die fränkische Liturgie aufgenommen, zunächst als vorbereitendes Privatgebet des Priesters), das von allen gemeinsam gesprochen wird, dessen Text aber im personalisierten Singular gehalten ist (confiteor - Ich bekenne) und dessen Intention durch dreimaliges Schlagen an die Brust gestisch unterstrichen wird.

  • Form B: Bußdialog aus zwei Doppelversen (Psalmversikel) im Wechsel zwischen dem Hauptzelebranten und der Gemeinde (miserere nostri - Erbarme dich, Herr unser Gott, erbarme dich) mit Schuldeingeständnis und Bitte um Huld und Erbarmen.

An die Stelle von Form A oder B kann gemäß Regelung im deutschen Missale ein Bußlied treten.

  • Form C: Kyrie-Litanei. Dabei wird der Bußakt mit den hiervon eigentlich unabhängigen Kyrie-Rufen verbunden In einer dreiteiligen Struktur folgt jeweils auf eine Christus-Anrufung, die durch den Vorsteher oder den Kantor vorgetragen wird, der Kyrie-/Christe-/Kyrieruf im Wechsel zwischen Vorsänger und allen. Diese Form ist in karolingischer Zeit aus einer Tropierung des Kyrie-Choralgesangs (Textunterlegung einer ausholend-melismatischen Melodie) hervorgegangen. Dabei wurde die jeweils musikalisch reich ausgefaltete letzte Silbe der Worte Kyrie bzw. Christe (Melisma: längere Tonfolge auf einer einzigen Wortsilbe) Ton für Ton mit Textsilben unterlegt (Tropus: Eine Textsilbe pro Ton), was der germanisch-fränkischen Kultur offenbar mehr entsprach. Aus den Tropen entwickelten sich teilweise liedhafte Gesänge  (vgl. "Leise", Sequenzen).
    Ein überwiegender Gebrauch der Form C in der Praxis birgt die Gefahr, dass die Kyrie-Akklamation nicht mehr primär als Huldigungsruf an Jesus Christus, sondern de facto als Bußruf ("erbarme dich") aufgefasst wird, was dem eigentlichen Charakter des Kyrie nicht entspricht.

Der Bußakt schließt mit einer durch den Hauptzelebranten vorgetragenen Vergebungsbitte und der bekräftigenden Amen-Akklamation der ganzen Gemeinde. Kennzeichnend für die Formen A - B - C in ihrer gegenwärtigen Gestalt ist die aktive Einbeziehung der ganzen Gemeinde in den Bußakt. Im vorangegangenen Missale von 1570/1962 war der Bußakt stärker auf den Priester konzentriert: Auf die privaten Vorbereitungsgebete "de praeparatione sacerdotis celebraturi" folgte innerhalb der Messe nach dem Einzug zum Altar das Stufengebet mit dem Schuldbekenntnis des Priesters und dem des Altardienstes. Die Gemeinde bekräftigte lediglich die hierauf folgende Vergebungsbitte durch Amen-Akklamation. Das Missale von 1970 hat jedoch alle Teilnehmer gleichermaßen in den Bußakt einbezogen.

Der Bußakt entfällt, wenn eine andere liturgische Feier unmittelbar vorausgeht. Bei Gottesdiensten besonderer Feierlichkeit kann der Bußakt gänzlich entfallen. An Sonntagen kann er durch das sonntägliche Taufgedächtnis mit Wassersegnung und Besprengung der ganzen Gemeinde ersetzt werden. Diese Besprengung mit Wasser ist bereits durch Hinkmar von Reims (806-882) belegt. Dieser liturgische Akt wird durch Rupert von Deutz (+1129), der u.a. einen Kommentar zur Liturgie der Messe und des Kirchenjahres verfasst hat,  als Taufgedächtnis interpretiert.

Insgesamt ist der Bußakt als ein sekundäres Element innerhalb der Eröffnungsriten zu werten; dies gilt im Hinblick auf die eigentliche Zielsetzung der Eröffnungsriten wie auf die liturgiegeschichtlich vergleichsweise späte Aufnahme in die Eucharistiefeier.

 

Kyrie-Akklamation

Die Kyrie-Akklamation (κύριε ἐλέησον, „Herr, erbarme dich“) stellt einen Huldigungsruf an Jesus den Christus dar. Der Kyrios-Titel wurde bei der griechischen Übersetzung der hebräischen biblischen Bücher für den Gottesnamen Jahwe gebraucht. Genau dieser Titel wird durch die junge Kirche zur Artikulation ihres Bekenntnisses auf Jesus Christus angewandt, der von den Toten auferstanden und in der Herrlichkeit des Vaters vollendet ist: „κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς – Kyrios ist Jesus Christus“ (Phil 2,11).

Die Kyrie-Akklamation war bereits außerchristlich im Götter- und Kaiserkult gebräuchlich. Sie artikulierte huldigenderweise die persönliche Bindung an Gottheit bzw. Kaiser und damit die Lossagung von anderen Herren (vgl. Kaiserakklamationen). Dieser Sinngehalt wird auf das Bekenntnis zu Jesus Christus übertragen. Die Kyrie-Akklamation bezeugt damit die pneumatische Gegenwart Jesu Christi in seiner Kirche. Diese Gegenwart des erhöhten Herrn ist zugleich eine huldvolle und erbarmende, was im „ἐλέησον" ("erbarme dich") artikuliert wird. Die Kyrie-Akklamation ist ein Bekenntnis- und Huldigungsruf an Jesus Christus - natürlich auch unter der Rücksicht seines huldvollen Erbarmens - und kein Bußruf.

Gegen Ende des 5. Jhd. aus dem Osten - wahrscheinlich durch Gelasius I. (492 - 496) - in Rom übernommen, führt die Kyrie-Akklamation zu einer Änderung der bis dahin in Rom üblichen Fürbittpraxis am Ende des Wortgottesdienstes (vgl. Karfreitagsliturgie). An deren Stelle tritt nun eine Kyrie-eleison-Litanei, womit die Gemeinde vielmals wiederholend auf die einzelnen durch den Diakon vorgetragenen Anliegen responsorial antwortet (vgl. deprecatio Gelasii, Ektenien in der byzantinischen Liturgie). Auf diese Tradition geht die auch heute noch bei bestimmten Anlässen gebräuchliche Kyrie-Litanei als Begleitgesang zum Einzug zurück. Nach Kürzungen im 6. Jahrhundert auf zuletzt 9 Anrufungen ist seit Gregor I. (um 540-604) die Nennung der Anliegen durch den Diakon gänzlich entfallen. Übrig blieben die 9 Kyrie-Rufe, die nun mit Christe-Anrufungen kombiniert wurden (3 x Kyrie - 3 x Christe - 3 x Kyrie). Dies führte im 8. Jhd. irrtümlich zu einer trinitarischen Deutung (Vater - Sohn - Geist) der an sich gänzlich an Jesus Christus gerichteten Kyrie-Akklamation.

 

Gloria

Das Gloria ist ein aus dem Osten stammender Hymnus. In Rom wurde es wohl durch den aus Griechenland stammenden Telesphorus († 136/137) verbreitet, wurde jedoch erst später fester Bestandteil der römischen Liturgie. Der Text des Gloria greift das Motiv des in Lk 2,14 dargestellten Lobgesangs der Engel aus der Weihnachtserzählung auf, der als authentischer Lobgesang der himmlischen Liturgie angesehen wurde: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade.“ Aufgrund des biblischen Textbeginns erhielt auch der weitere, verbreitet bekannte Text des Gloria ein so hohes Ansehen, dass er trotz des durch die Synode von Laodikeia (vor 380) zur Abwehr von Häresien erlassenen Verbots selbstgedichteter Hymnen (sog. psalmi idiotici) fortbestehen konnte.

Das Gloria ist seit dem 4. Jhd. allmählich aus den Laudes in die Feier der Eucharistie übernommen worden: zunächst nur, wenn der Bischof von Rom selbst den Vorsitz führte, später in den Ortskirchen über die Bischofsmesse an Sonntagen (Priester stimmten das Gloria zunächst nur zum Osterfest an), bis es schließlich seit dem 12. Jhd. in jeder sonntäglichen und festlichen Eucharistiefeier außerhalb der Bußzeiten einen festen Platz erhielt. Heute gilt folgende Regelung: "Das Gloria wird gesungen oder gesprochen an allen Sonntagen außerhalb der Advents- und Fastenzeit, ebenso an Hochfesten und Festen sowie bei besonderen Feiern von größerer Festlichkeit" (Inst.Gen.53). Beschränkt auf den deutschen Sprachraum findet sich die verbreitete Gewohnheit, anstelle des Gloria selbst ein sog. Gloria-Lied zu singen. Dagegen steht jedoch die geltende gesamtkirchliche Vorschrift: "Der Text dieses Hymnus kann nicht gegen einen anderen ausgetauscht werden" (Inst.Gen.53).

Das Gott lobpreisend verherrlichende Gloria korrespondiert inhaltlich den Kyrie-Rufen und führt diese gleichsam weiter aus.

 

Tagesgebet

Das Tagesgebet (Inst.Gen.54) ist der erste explizite Gebetsakt der zur Feier der Eucharistie versammelten Kirche. Dabei handelt es sich um ein Präsidialgebet, d.h. es wird durch den Hauptzelebranten gesprochen bzw. gesungen, der in seiner Amtsfunktion Christus als den eigentlichen Vorsteher der Versammlung repräsentiert und der sich in diesem Gebetsakt im Namen der ganzen Kirche an Gott den Vater richtet. Nach der Gebetseinladung durch den Vorsteher folgt als Kern des Tagesgebets obligatorisch das persönliche stille Gebet aller. Dieses stille Gebet erfordert eine hinreichende Zeit; daher darf die Stille nicht zu kurz bemessen sein. Dieses stille Gebet aller wird in dem durch den Vorsteher laut vorgetragenen Text des Tagesgebets, worin der jeweilige Festgedanke bzw. die Eigenart der Feier zum Ausdruck kommt, zusammenfassend zu Ende geführt. In dieser Struktur gründet die lateinische Bezeichnung  collecta (<colligere) für das Tagesgebet.

Somit ergibt sich folgender Aufbau des Tagesgebets:

  • Gebetseinladung durch den Vorsteher,

  • persönliches stilles Gebet aller,

  • zusammenfassende durch den Vorsteher laut vorgetragene Oration
    mit folgendem Aufbau:
    - Anrede Gottes (normalerweise des Vaters) mit erweiterter Prädikation,
      die am Festgeheimnis orientiert ist,
    - Anliegen / Bitte,
    - trinitarische Schlussformel ("christologische Mittlerformel", "Ewigkeitsformel"),

  • Amen-Akklamation der ganzen Gemeinde.

Der lateinische Text der Orationen stellt ein Sprachkunstwerk lateinischer Rhetorik dar. Die lateinisch-klassische Struktur der Orationen reicht insofern bis in die Zeit der Herausbildung lateinischsprachiger Liturgie im 4. Jhd. zurück. Die deutschen Gebetstexte geben die Struktur der römischen Orationen nur bedingt wider, indem sie den artifiziellen lateinischen Periodenbau normalerweise in mehrere Sätze auflösen, wie es der deutschen Sprache am besten entspricht.

Das Tagesgebet ist in der Regel an Gott, den Vater, durch Christus im Heiligen Geist gerichtet. Die trinitarische Schlussformel lautet dann: "Per Dominum nostrum Iesum Christum Filium tuum, qui tecum vivit et regnat in unitate Spiritus Sancti, Deus, per omnia saecula saeculorum - Durch unseren Herrn Jesus Christus, deinen Sohn, der mit dir lebt und herrscht in der Einheit des Heiligen Geistes, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit". Wenn im Text des Tagesgebets zum Ende hin der Sohn ausdrücklich erwähnt wird, lautet die Schlussformel: "Qui tecum vivit et regnat in unitate Spiritus Sancti, Deus, per omnia saecula saeculorum - Der mit dir lebt und herrscht in der Einheit des Heiligen Geistes, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit". Richtet sich das Tagesgebet hingegen direkt an den Sohn (in Einzelfällen ist dies heute abweichend von der altrömischen Tradition der Fall), kommt folgende Schlussformel zur Anwendung: "Qui vivis et regnas cum Deo Patre in unitate Spiritus Sancti, Deus, per omnia saecula saeculorum - Der du lebst und herrschst mit Gott, dem Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit". Orationen, die sich direkt an den Heiligen Geist richten, kommen in der Feier der Eucharistie nicht vor.

Die ganze Gemeinde bestätigt das durch den Hauptzelebranten vorgetragene Tagesgebet durch Amen-Akklamation und macht sich das Gebet so ausdrücklich zueigen. Damit werden die Eröffnungsriten insgesamt abgeschlossen und der erste Hauptteil der Eucharistiefeier, die Liturgie des Wortes (vormals zuweilen als Wortgottesdienst bezeichnet), beginnt.

 

   
 

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